Dr. May erklärt die Welt

Eines vielgereisten Mannes
Lebensweisheiten & Ratschläge
für alle Lebenslagen

Wer beim Fährtenlesen irre wird

Ich stieg ab und hieß auch ihn absteigen, denn er sollte sich im Fährtelesen üben. Was er von und bei mir lernte, konnte ihm später wohl von Nutzen sein. Ich wußte gleich beim ersten Blicke, woran ich war, doch forderte ich ihn auf:

»Sieh dir diese Spuren genau an! Von weichen Tieren können sie eingetreten worden sein?«

»Das – das sind wohl Esel gewesen?« sagte er, mich fragend anblickend.

»Ja, Esel,« nickte ich ihm befriedigt zu. »Und wie viele?«

»Vier oder fünf.«

»Nein, sondern nur drei. Wenn man die Zahl der Tiere wissen will, muß man sein Augenmerk nur auf die Summe der Eindrücke eines bestimmten Beines richten. Wer die Spuren aller Hufe zählt, wird irre. Nehmen wir zum Beispiel den rechten Vorderhuf. Du erkennst den Eindruck an mehreren Zeichen, vor allen Dingen daran, daß er nach außen, also nach rechts, mehr konvex ist als nach innen, nach links. Zieh dann die Verschiedenheit der Eindrücke dieser rechten Vorderhufe zu Rate, so wirst du die Zahl der Tiere haben.«

»Ja, es waren nur drei Esel,« sagte er, nachdem er die Spur von den gegebenen Gesichtspunkten aus noch einmal genau betrachtet hatte.

»Was trugen die Esel? Reiter oder Lasten? Oder ging einer von ihnen vielleicht frei?«

»Woran erkennt man es?«

»An der Tiefe der Eindrücke, an der Regelmäßigkeit des Ganges und aus andern, mehr durch den Zufall gegebenen Zeichen. Je schwerer ein Tier beladen ist, desto tiefer drückt sich sein Fuß in den Sand. Ein Lasttier wird meistenteils vorn leichter als hinten gehen. Ein Reittier hat einen unregelmäßigeren Gang als ein Saumtier, weil es mehr von dem Willen seines Reiters abhängig ist, während das Lasttier ruhig seinen Gang fortgeht. Komm ein Stück auf dieser Fährte weiter, so siehst du, daß jeder der Esel einmal rechts, einmal links, einmal in der Mitte gegangen ist. Das kommt bei Saumtieren nicht oder nur höchst selten vor; sie haben also Reiter getragen. Was für Reiter mögen das gewesen sein?«

»Wie kann ich das wissen! Ich habe sie nicht gesehen, und da sie im Sattel saßen, konnten sie von sich keine Spuren zurücklassen.«

»Und doch ist nichts leichter als das. Auf Eseln reitet hier nur eine ganz bestimmte Art von Leuten.«

»Meinst du, es seien Dschellab gewesen?«

»Ja, da nur ein Dschellabi, ein Händler, sich in dieser Gegend des Esels bedient. Also soviel wissen wir. Wo kamen sie her? Das interessiert uns nicht; aber wohin sie wollen, das möchten wir wissen, da wir sie vor uns haben und sie vielleicht einholen werden.«

»Kannst du auch das aus den Spuren lesen?«

»Nein, wenigstens jetzt noch nicht, da ihre Fährte sich von hier aus mit derjenigen der Takaleh vereinigt hat. Gehen wir weiter!«

Im Lande des Mahdi II (1896)
F 17, S. 427 f.
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