Dr. May erklärt die Welt

Eines vielgereisten Mannes
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Wie man Regen macht

Wenn in den glühenden Niederungen der Halbinsel Florida die jedes Wasser verzehrende Hitze so groß wird, daß Mensch und Tier verschmachten will, und dennoch die Erde bleibt wie ›flüssiges Blei und der Himmel wie glühendes Erz‹, ohne die kleinste Wolke sehen zu lassen, so stecken die verschmachtenden Leute das Schilf und alles sonstige ausgedorrte Gesträuch in Brand, und siehe da, der Regen kommt. Ich selbst hatte dies zweimal beobachtet, und wer einigermaßen mit den Gesetzen, Kräften und Erscheinungen der Natur vertraut ist, kann sich den Vorgang ganz gewiß erklären, ohne eine wissenschaftliche Erörterung zu verlangen.

Hieran dachte ich in diesem Augenblick; kaum war’s gedacht, kniete ich auch bereits bei den Pflanzen, um mir mit dem Messer die nötigen Zündfasern abzuschleißen. Einige Minuten später flackerte ein lustiges Feuer empor, welches erst langsam und dann immer schneller weiter um sich griff, bis ich endlich vor der Fronte eines Glutmeeres stand, dessen Grenzen nicht abzusehen waren.

[…]

»Ist nicht so schlimm, Sam. Ich habe das Ding in Florida gesehen und es hier einfach nachgemacht, weil ich denke, daß uns eine Handvoll Regen nicht sehr viel schaden wird. Schau, da hast du bereits die Wolke! Sobald der Kaktus niedergebrannt ist, geht es los. […]«

[…]

Meine Prophezeiung traf ein. Eine halbe Stunde später hatte sich die kleine Wolke so ausgebreitet, daß der ganze Himmel über uns bis rund um den Horizont tief schwarz erschien; dann brach es los, nicht allmählich wie in gemäßigteren Breiten, sondern plötzlich, als ob die Wolken aus festen Gefäßen beständen und umgestürzt worden seien. Es war, als trommelten zwanzig Fäuste auf unsern Schultern, und in der Zeit von nur einer Minute waren wir so vollständig durchnäßt, als wären wir in den Kleidern durch einen Fluß geschwommen.

Winnetou III (1893)
KMW IV.14, S. 84–87
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